Wie der peruanische Staat seine Präsenz in der Fläche vorantreiben möchte

Peru, mit einer Fläche, die fast dreieinhalb Mal die Bundesrepublik Deutschland fassen würde, hat ein Problem: Viele Sozialprogramme und Dienstleistungen des Staates sind für die Ärmsten der Armen gedacht, kommen aber in besonders armen, abgelegenen Regionen überhaupt nicht an.

Die Lösung? Tambo San Juan de Yanacachi (4.045 m. ü. M.; Distrikt Ticlacayan / Provinz und Region Pasco). Foto: ANDINA.

Die Lösung? Tambo San Juan de Yanacachi (4.045 m. ü. M.; Distrikt Ticlacayan / Provinz und Region Pasco). Foto: ANDINA.

Das erschwert die Arbeit, lohnt es sich doch für alte Menschen in manchen Landesteilen kaum, beispielsweise die Armengrundrente „Pensión 65“ zu beantragen. Denn: Diese beträgt zwar 125 Nuevos Soles pro Monat – wird aber bislang nur über die Filialen der Nationalbank (Banco de la Nación) ausgezahlt. In manchen Orten, beispielsweise Chapiza am Río Santiago, einem Zufluss des Marañón in der nordperuanischen Provinz Condorcanqui (Region Amazonas) nahe der Grenze zum Nachbarland Ecuador, kostet die Reise zur nächstgelegenen Filiale in der Provinzhauptstadt Santa María de Nieva mehrere hundert Soles. Ähnlich verhält es sich mit anderen Sozialprogrammen – und das, obwohl Condorcanqui die mit Abstand ärmste Provinz der Region ist.

Staat überzeugt bislang nicht

Ermittlungsarbeit bislang nur mit Maulesel: Polizeiposten Cocabamba. Foto: D. Raiser / INFOAMAZONAS.

Ermittlungsarbeit nur mit dem Maultier: Polizeiposten Cocabamba (Provinz Luya / Region Amazonas). Foto: D. Raiser / INFOAMAZONAS.

Gleichzeitig siedeln sich in diversen Teilen Condorcanquis Goldschürfer an, um die Ufer des Marañón und seine Seitenarme illegal auf der Suche nach dem Edelmetall umzugraben. Die peruanische Regierung hat in den vergangenen Jahren ihr Vorgehen gegen den illegalen Bergbau verschärft und möchte erreichen, dass die Goldwäscher, zumindest grundlegende Umweltstandards einhalten und Steuern abführen.

Doch, wie so häufig im von informellem Wirtschaftstreiben sehr geprägten Peru, ist es nicht einfach, Menschen dafür zu begeistern und davon zu überzeugen. Denn: Vielerorts ist der Staat höchstens marginal präsent, im besten Fall durch gewählte Bürgermeisterinnen, Lehrer oder Gesundheitspersonal. Die -nicht nur- wegen ihrer geringen Mitarbeiterzahl chronisch überforderte peruanische Polizei kann in zahlreichen großen und schwierig zugänglichen Regionen lediglich stichprobenartige Einsätze organisieren, weil ihr für mehr die Mittel, die Ausrüstung und die Infrastruktur fehlen.

Coca-Bauern bislang ohne legale Alternative

Coca-Strauch. Foto: D. Raiser / INFOAMAZONAS.

Coca-Strauch. Foto: D. Raiser / INFOAMAZONAS.

Auch staatliche Fördermittel für den Hausbau oder die Grundbucheintragung von Häusern und Grundstücken können in vielen Regionen wegen fehlenden Wissens über deren Existenz und der großen Entfernung zu den Dienststellen der staatlichen Programme nicht abgerufen werden*. Ein Beispiel dafür ist die Region um Monzón (Provinz Huamalies / Region Huánuco), in der vor wenigen Tagen Perus Anti-Drogen-Zarin Carmen Masías (DEVIDA) öffentlichkeitswirksam erklärte, der Staat sei zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in der „Coca-Bastion“ präsent. Die Gegend ist in Peru bekannt für die Coca-Produktion für die Herstellung von Kokain und ging im vergangenen Jahr wegen der spektakulären Festnahme eines seit Jahrzehnten gesuchten Terroristen, sowie ihm angeblich nahestehender Cocabauern-Verbandsführer durch die Presse. Auch deshalb steht sie seit Jahren im Zentrum von vor allem durch die USA finanzierten Coca-Vernichtungsaktionen.

Jede der vergangenen Regierungen in Lima hatte die Coca-Bauern dazu aufgerufen, die Coca-Pflanzungen zu Gunsten legaler Produkte aufzugeben und sich somit in den formellen Wirtschaftskreislauf einzuklinken. Aber der Anreiz dafür war gering: das Tal liegt -obwohl an einer Nationalstraße (14A) gelegen-  fernab attraktiver Märkte, Polizei und Vertreter von Sozial- und Agrarförderprogrammen hatten keine festen Büros vor Ort. Wenn der Staat in Form der Antidrogenpolizei auftauchte, führte das zu brutalen Konflikten, bei denen in den vergangenen Jahren mehrere Cocabauern-Vertreter getötet wurden. Die legale Wirtschaft und der Staat boten – und bieten teils noch immer – keine gangbare Alternative.

Mit „Tambos“ in die Fläche

Mit First Lady bei Tambo-Einweihung: Präsident Humala. Foto: Prensa Presidencia.

Mit First Lady bei Tambo-Einweihung: Präsident Humala. Foto: Prensa Presidencia.

Das soll sich nach Plänen der derzeitigen Regierung in den kommenden Jahren ändern. Nicht nur, dass der Bau eines Polizeipostens in Monzón bereits geplant ist. Vielmehr wurde ein Programm („Servicio de Apoyo al Hábitat Rural“) aufgelegt, das nach mythologischen Inka-Verwaltungszentren und -herbergen „Tambos“ benannt wurde. Im Rahmen des Programms werden in besonders abgelegenen Regionen im Einheitsdesign kleine Verwaltungszentren gebaut, die insbesondere Dienstleistungen der Nationalregierung, Fortbildungen, aber auch Finanzdienstleistungen der Nationalbank anbieten sollen. Seither sieht man Perus Präsident Humala, der 2013 zum „Jahr der Investitionen für die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherheit“ erklärt hat, mindestens einmal pro Woche einen solchen „Tambo“ einweihen.

VRAEM: mit „Tambos“ gegen den Narcoterror?

Eine Reihe solcher Gebäude wird derzeit auch in den Tälern der Flüsse Apurímac, Éne und Mantaro (kurz: VRAEM) errichtet, die andere prominente peruanische „Coca-Bastion“ neben dem Gebiet um die Flüsse Monzón und Huallaga. Das Kalkül dahinter: Einem dort im Bund mit der Drogenmafia agierenden Arm der Terrororganisation „Sendero Luminoso“ durch Unterstützung der Bevölkerung den Boden zu entziehen. Bisher war auch im VRAEM der peruanische Staat nur marginal präsent. Und dort, wo staatliche Einrichtungen vorhanden waren, ließ sich häufig kein Personal finden. Zu groß war die Angst vor dem Terror. Zu recht: Immer wieder gab es Anschläge auf öffentliche Einrichtungen, selbst Gesundheitzentren waren davor nicht sicher. Ob sich das mit dem „Tambo“-Bau verändern wird, muss sich noch zeigen.

Erfolgreiche Strategie?

DEVIDA-Chefin Carmen Masías. Foto: Presidencia.

DEVIDA-Chefin Carmen Masías. Foto: Presidencia.

Für Carmen Masías, Chefin der staatlichen Anti-Drogen-Behörde DEVIDA, ist das Engagement aber ein Zeichen dafür, dass „Niemandsland“ erobert wird, um der Bevölkerung zu helfen, aus der illegalen Coca-Wirtschaft herauszukommen. Auch wenn diese Sichtweise wahrscheinlich etwas zu optimistisch ist, gibt es erste Anzeichen, dass die Strategie zumindest mancherorts aufgeht: Zum ersten Mal gibt es seit kurzem im genannten Monzón-Tal keinen nennenswerten Widerstand mehr gegen die Coca-Vernichtungsarbeiten der Polizei, die erstmals vom peruanischen Staat mitfinanziert werden. Und auch zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem Umland von Monzón, bisher stets im Kreuzfeuer zwischen Coca-Bauern und Nationalregierung, verpflichteten sich, den Kampf gegen die Drogenmafia zu unterstützen.

Kein Allheilmittel

Bei dem ganzen Engagement in Krisenregionen darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass es auch Regionen gibt, in denen kein Konflikt herrscht, die aber dennoch einer größeren Nähe staatlicher Institutionen dringend bedürfen. Regionen wie die Umgebung von Chapiza, wo bislang allerdings noch kein „Tambo“ in Aussicht ist. Andernorts wurden derweil die ersten eingeweiht: In Belén (Provinz Maynas / Region Loreto) und Chivay (Provinz Caylloma / Region Arequipa), bis 2016 will die peruanische Regierung insgesamt 500 Stück errichtet haben. Gleichzeitig sind die „Tambos“ kein Allheilmittel, Bürgerinnen und Bürgern dazu zu bringen, dem Staat zu vertrauen**. Aber die Einsicht, dass etwas kürzere Wege den Zugang zu seinen Dienstleistungen vereinfachen können, war ein wichtiger Schritt.

* Es sei darauf hingewiesen, dass in der peruanischen Presse zudem häufig noch auf den Faktor „Korruption“ hingewiesen wird.
** In der peruanischen, wie auch in der deutschen Presse ist immer wieder davon zu lesen, der peruanische Staat müsse „Vertrauen zurück gewinnen“. Die Frage ist allerdings, ob ihm -insbesondere in abgelegenen Regionen- jemals Vertrauen entgegen gebracht wurde.

Lage des Flusses Apurímac, später Éne. Grafik: D. Raiser / INFOAMAZONAS.

Lage des Flusses Apurímac, später Éne. Grafik: D. Raiser / INFOAMAZONAS.

Nähere Informationen zum Thema VRAEM finden Sie in den Beiträgen „Das VRAE heißt nun VRAEM“, sowie „Peru: Was ist und wo liegt das VRAE?“

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