Die Folgen des 6. Juni

Noch immer herrscht in den Provinzen Bagua und Utcubamba (Provinz-ähnlich Landkreis) in der Region Amazonas (Region/Departamento – entfernt ähnlich Bundesland) Ausganssperre. Inzwischen wurde diese allerdings auf die Zeit zwischen 19 und 06 Uhr gekürzt. Versammlungen etc. sind verboten. Die gesamten Provinzen sind vom peruanischen Militär abgeriegelt. Nach Angaben des Pfarrvikars von Bagua Grande, Nilson Chávez,  wurden bis auf weiteres Religiöse Feiern verboten. Das entsprechende Schreiben sei von Beamten der Nationalpolizei PNP dem Gemeindepfarrer Castinaldo Ramos García übergeben worden, so Nilson Chávez. Betroffen davon seien auch die Jubiläumsfeierlichkeiten der Alonso de Alvarado-Schule.

Gemeindepfarrer Castinaldo Ramos García hatte vor einigen Tagen erwähnt, man habe ihm von einem Massengrab in der Nähe berichtet. Die Existenz des Massengrabes konnten aber weder die Volksanwaltschaft; noch die Staatsanwaltschaft; noch die begleitenden Journalisten feststellen. Auch auf den Hügeln der Umgebung konnten keine weiteren Leichen gefunden werden. Gleichzeitig nehmen die Gerüchte und Berichte in dieser Richtung kein Ende. Die Menschenrechtsorganisation APRODEH erstellte eine Liste aller nach dem 6. Juni verschwundenen Personen und nach dem Abgleich mit den Listen der Verhafteten gelten derzeit noch 61 Personen als vermisst. In einigen Fällen wird davon ausgegangen, dass sie sich weiterhin versteckt halten, aus Angst, festgenommen zu werden. Die Regierung spricht zudem von 24 Toten Polizisten.

Gleichzeitig macht die peruanische Regierung Ernst mit ihren Drohungen gegen lokale Medien in der Region Amazonas. So hatte (unter anderem) die peruanische Innenministerin Mercedes Cabanillas (unter anderem) dem Lokalsender „Radio La Voz“ in Bagua Grande vorgeworfen, mit seiner Berichterstattung die Gewalt in der Gegend um die Baguas, sowie an der als „Siempre Viva“ bekannten (und in zahlreichen Berichten mit der etwas entfernten „Curva del Diablo“ verwechselten) Stelle der Fernando-Belaúnde-Terry-Strasse angeheizt zu haben. In den vergangenen Tagen hatte Carlos Flores von „Radio La Voz“ wiederholt von anonymen Drohungen berichtet, die Radiostation in die Knie zu zwingen. Gestern schliesslich berichtete der Radiosenderverbund „CNR“ vom Entzug der Sendelizenz durch das Transport- und Kommunikationsministerium wegen der fehlenden Zertifizierung der Sendeantennen. Ein Dokument von Anfang März belegt jedoch die Zertifizierung der Antennen.
Der Kopf der Indígenaorganisation AIDESEP, der der Urheberschaft der Zusammenstösse beschuldigt wird, hat derweil in der Botschaft Nicaraguas um Asyl gebeten. Zuvor hatte die peruanische Regierung öffentlich spekuliert, er habe sich nach Bolivien abgesetzt.

Die Streiks und Proteste gegen die peruanische Regierung sind dabei noch lange nicht vorbei. Bei zahlreichen gigantischen Protestmärschen versammelten sich – nach dem Aufruf von Indígenaorganisationen, Gewerkschaften, Parteien und kirchlichen Organisationen – zehntausende, um gegen die Regierung zu protestieren. An verschiedenen Orten Perus (so z.B. die Hafenstadt Yurimaguas) halten noch immer Indígena diverser Ethnien Strassen und Einrichtungen besetzt, um die endgültige Abschaffung der kritisierten Regierungsdekrete zu fordern. Der peruanische Kongress hatte am vergangenen Mittwoch beschlossen, die Dekrete nicht einzukassieren, diese aber für unbestimmte Zeit auf Eis zu legen und während dieser Zeit die Vorgängerregeln – die mit zahlreichen Organisationen der Indígena abgestimmt worden waren – wieder geltend zu machen. Zudem wurde eine Kommission ins Leben gerufen, in der neben Repräsentanten der Regierung und der Indígenaorganisationen auch die Regionalpräsidenten der Urwaldregionen sitzen, um nicht nur die Gesetze zu debattieren und gegebenenfalls zu überarbeiten, sondern auch Mechanismen zu erdenken, wie in Zukunft die Indígenaorganisationen in Gesetzgebungsprozesse eingebunden werden können. Nach aktueller Rechtslage ist die peruanische Regierung dazu verpflichtet – allerdings wurden für die entsprechenden Gesetze niemals entsprechende Regeln für deren Durchführung erlassen, weswegen die Konsultation der Indígena auf formellem Wege nicht stattfand.

Die Vizepräsidentin der Asociación Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana (Aidesep), Daysi Zapata, erklärte, ihre Organisation würde protestieren, bis die Dekrete 1090 und 1064 endgültig für ungültig erklärt würden. Die Regionalpräsidenten der Urwaldregionen präsantierten in der vergangenen Woche mehrere Tausend Unterschriften, um die Normenkontrollklage gegen das Dekret 1064 zu unterstützen, die derzeit beim peruanischen Verfassungsgericht anhängig ist.

In den vergangenen Tagen tauchten nun in den peruanischen Medien häufiger Personen wie Schauspieler oder Musiker auf, um die peruanische Regierung wegen der Zusammenstösse in Bagua zu kritisieren. Meist allerdings schlecht informiert oder mit Halbwahrheiten.

Die peruanische Regierung ist (zumindest teilweise) schon wieder zur (konfrontativen) Alltagssprache zurückgekehrt. Der Kongressabgeordnete Luis Gonzales Posada (Regierungspartei APRA) forderte das peruanische Aussenministerium auf, die Nichtregierungsorganisationen (NRO/NGO/ONG) Amazon Watch und Survival wegen der angeblichen „Diffamierung“ Perus anzuklagen und 100 Millionen US-Dollar zu verlangen.  Die beiden Organisationen hatten in Pressemitteilungen das Vorgehen der Polizei gegen die Indígena in Bagua als unverhältnismässig dargestellt und davon gesprochen, dass die Polizei mit Waffen und aus Helikoptern die friedlichen Demonstranten angreifen würde.

Die -linksliberale- peruanische Zeitschrift „Caretas“ veröffentlichte derweil Fotos vom Beginn der Zusammenstösse bei Bagua, auf denen – nach Angaben der Redakteure – zu sehen ist, wie sich die Polizei und die Indígena gegenüberstehen, während von nicht sichtbaren Personen aus den Büschen am Strassenrand Schüsse auf die Polizei abgegeben werden.

Erst langsam, sehr langsam, scheinen sich – endlich wenn auch spät mit Hilfe von Anthropologen, Soziologen, Ethnologen, Psychologen, etc. – erste Ansätze eines Dialogs zu finden. Eines Dialogs, der dann hoffentlich auch die interkulturelle Komponente enthält, die in Peru bisher leider fast immer untergeht.

Schliesslich lag das Problem nicht in erster Linie in den Regierungsdekreten selbst, sondern in der Form, wie diese zustande kamen.

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